Verkomplizierungsbürokratie

Ein Gespräch mit Randolph Maurer

1. September 2017

Die Bürokratie kostet die deutsche Wirtschaft jährlich etwa 45 Milliarden Euro. Die Summe umfasst den Aufwand, der durch Informationspflichten aufgrund des Bundesrechts entsteht. Landes- und Kommunalrecht beziehungsweise EU-Recht, das nicht in Bundesrecht überführt ist, sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Wie viele mittelständische Unternehmer fordert auch Randolph Maurer, Geschäftsführer von imb: troschke, den Abbau bürokratischer Hemmnisse für den Mittelstand.

# Herr Maurer, der deutschen Wirtschaft geht es gut wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Wenn Unternehmen nach wie vor beklagen, sie würden in ihrem unternehmerischen Handeln von der Bürokratie erdrückt: Wird da nicht nur auf hohem Niveau gejammert?

Randolph Maurer: Ja, den Unternehmen geht es gut. Es gibt Vollbeschäftigung. Die meisten Unternehmen können Gewinne verzeichnen. Der ifo-Geschäftsklimaindex zeigt: Die Stimmung ist gut. Die Börse entwickelt sich ebenfalls gut. Aber vielleicht ist die gute Stimmung ja sogar ein Teil des Problems.

# Was meinen Sie damit?

Wir Deutschen verharren in Lethargie. Wir sind an unseren Wohlstand gewöhnt und an gute Wirtschaftszahlen. Doch wir leben in einer sich rasant wandelnden Welt. Die spannendste Phase seit der Industriellen Revolution. In nicht allzu langer Zeit werden die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen. Wir stehen vor großen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen, aber keiner nimmt sich der Probleme an. Es wird palavert und taktiert, aber die Politik hat keine strategischen Ideen. Stattdessen regulieren und bürokratisieren wir uns zu Tode. Ich bin ein großer Freund der Europäischen Union, aber sie ist auf halbem Wege stehen geblieben. Sie bringt immer mehr Bürokratie mit sich. Das frustriert mich. Wir tun in unserem Unternehmen alles, damit die Arbeit allen Spaß macht. Damit wir auch in 20 Jahren noch erfolgreich sind. Durch die vielen, teils vollkommen überholten Regularien und die Bürokratie werden wir als Unternehmer behindert.

# Wie groß ist der bürokratische Aufwand, den Sie betreiben müssen?

Ich beschäftige mich etwa 30 Prozent meines Arbeitstages mit Steuerangelegenheiten und Bürokratie. Anträge, Formulare, Statistiken. Zertifizierungsverfahren, Prüfverordnungen, Berichtspflichten, Auskunftsvorschriften. Bescheinigungen hier, Besprechungen mit dem Steuerberater über Überstunden da. Über Sonntagszuschläge und deren Dokumentation, geldwerte Vorteile für Kollegen, Kostenaufstellung einer Betriebsfeier und so weiter. Manchmal fahre ich nach Hause und frage mich, was ich den ganzen Tag gemacht habe – außer Regularien erfüllt.

# In einem Beitrag im „Unternehmerprogramm des Mittelstands zur Bundestagswahl“ haben Sie gefordert, ein Großteil der Dokumentationspflichten müsse entfallen…

Ja. Das sind wahre Zeitdiebe. Noch dazu mit zweifelhaftem Nutzen. Wir müssen beispielsweise vierteljährlich Statistiken erstellen, in denen Gehälter, Mitarbeiteranzahl und anderes mehr enthalten ist. Doch diese Statistiken sind so strukturiert, dass ich bezweifle, dass man aus den Ergebnissen überhaupt korrekte Schlüsse ziehen kann. Und ich denke, dass viele Unternehmen unbeabsichtigt falsche Angaben machen, weil die Erhebungen nicht plausibel und einfach aufgebaut sind.

# Was ist Ihrer Ansicht nach der Grund für die Dokumentationspflichten, die den Unternehmen auferlegt werden?

Die Legislative misstraut den Unternehmen, leider teilweise auch zu Recht. Deshalb will man Sicherheiten und Kontrollmechanismen einbauen. Das Resultat: Vor allem der kleine Mittelstand wird belastet. Dabei ist er der Wirtschaftsbereich, der am wenigsten strategische Betrugsabsichten hegt. Es sind vielfach die Großen, die „Global Players“ also, die Regeln unterlaufen und am Rande der Gesetze kreativ sind. Ein kleiner Mittelständler käme kaum auf die Idee eines „double Irish with a Dutch sandwich“. Er will einfach nur seine Arbeit machen.

# Gibt es weitere Regulierungen, die Sie und Ihr Unternehmen behindern?

(lacht) Allerdings! Das Arbeitszeitgesetz ist für unsere Branche extrem einschränkend. Als Messebauer brauchen wir mehr Flexibilität, mehr Freiraum. Wir haben im Frühjahr und Herbst sehr viel Arbeit, weil da die Messen stattfinden. Im Sommer ist es bei uns viel ruhiger. Das Arbeitszeitgesetz müsste diesem Umstand Rechnung tragen. Arbeitszeitkonten – im Übrigen auch für Minijobs – die ein ganzes Jahr umfassen, wären eine Lösung. Dann könnte ein Mitarbeiter in den Hochphasen mehr und länger arbeiten und im Sommer weniger.
Oder das Mittelstandsentlastungsgesetz. Für jedes Gesetz, das geschaffen wird, wird ein altes abgeschafft. Im Prinzip eine gute Idee, aber es wird konterkariert durch vielfältigste neue Regelungen, auch auf EU-Ebene.

Die Globalisierung hat dazu geführt, dass wir weltweit tätig sind. Aber wir können nicht einmal einen Mitarbeiter nach Paris zum Aufbau einer Messe schicken, ohne einen Wust an Formularen und Anmeldungen auszufüllen. Frankreich ist unser Nachbarland, in der EU herrscht Freizügigkeit und trotzdem sind wir als Unternehmen tagelang mit Bürokratie beschäftigt.

Nehmen wir die DGUV-Vorschrift 3, nach der wir alle stromführenden Kabel von einem geschulten Mitarbeiter prüfen lassen müssen oder die Prüfung an ein externes Unternehmen vergeben müssen. Wer denkt sich sowas aus?

Warum braucht man bei zehn Beschäftigten bereits einen Datenschutzbeauftragten? Was soll da vor wem geschützt werden? Wer soll das bezahlen? Sind mit dem Datenschutzbeauftragten dann alle Probleme gelöst?

Wir haben einen Mitarbeiter, der über mehr als 30 Jahre Erfahrung mit Staplern, Genies und Arbeitsbühnen verfügt. Nun muss dieser Mitarbeiter eine Schulung absolvieren, um zertifiziert zu belegen, dass er eine Arbeitsbühne bewegen kann.

Der Höhepunkt in diesem Sommer: Wir mussten einen schriftlichen Antrag beim Landratsamt stellen, nur um ein Wespennest im Sonnenschirm auf unserer Terrasse umsiedeln zu lassen.

# Was müsste sich ändern, damit Sie sich Ihren unternehmerischen Aufgaben zuwenden können?

Es gibt einfach viel zu viele Dokumentationspflichten für die kleinen Unternehmen, auch beim Mindestlohn und der geringfügigen Beschäftigung. Die Aufzeichnungspflicht bei Minijobs sollte entfallen, wenn Stundenlohn und Arbeitszeit eindeutig aus dem Arbeitsvertrag hervorgehen. Ich bin dafür, dass wir bei den Sozialversicherungsbeiträgen zu der alten Regelung zurückkehren, nach der Beiträge nicht vorfällig gezahlt werden. Das Arbeitszeitgesetz muss mehr Ausnahmen ermöglichen und unserem flexiblen Bedarf gerecht werden. Sinnvoll wäre auch, dass die Vergaberichtlinien bei öffentlichen Aufträgen so gestaltet werden, dass Mittelständler nicht benachteiligt werden.

Man sollte uns Mittelständlern grundsätzlich mehr Vertrauen entgegenbringen. Wir müssen für unsere Mitarbeiter ein Wohlfühlklima schaffen, damit sie bleiben. Wir haben mehr Probleme als die Großen, Mitarbeiter zu finden. Große Unternehmen und Konzerne können höhere Löhne und Gehälter zahlen. Die „Global Players“ verfügen zudem über ganze Abteilungen, die mit der Aufgabe betraut sind, die bestehenden Gesetze für die Bedürfnisse des Unternehmens bestmöglich – am Rande der Legalität – zu nutzen. Das können mittelständische Unternehmen nicht. Auch brauchen wir eine Senkung des Arbeitslosenbeitrags, schließlich haben wir in Deutschland zurzeit Vollbeschäftigung. Die Kalte Progression muss weg. Eine Gehaltserhöhung von 100 Euro kostet uns als Unternehmen etwa 150 Euro und bei unserem Mitarbeiter kommen gerade mal 50 Euro an. Ich befürworte eine radikale Reform des Einkommensteuergesetzes, Vorschläge hierzu wurden bereits gemacht.

Das Interview führte Elke Kaltenschnee